Girlfags und Fangirls

Girlfags und Fangirls

7. Februar 2015 0 Von Paul'a

Girlfags, sind das nicht bloß Slash-Fiction-Fangirls, die schwule Männer fetischisieren? Nein. Diese Behauptung ist nicht nur ein Vorurteil, sie macht auch das queere Potential von Slash Fiction unsichtbar.


Wer sich mit dem Thema Girlfags & Guydykes auseinander setzt, stellt schnell fest, dass sie in vielen queeren Kreisen alles andere als akzeptiert sind. Horrorgeschichten werden erzählt, von Frauen, die Gayromeo-Profile faken, um schwule Männer zu daten und „umzudrehen“. Eine Bekannte von mir wurde von einer schwulen Beratungsstelle weggeschickt, als sie dort über die Verwirrung mit ihrer neu entdeckten Orientierung sprechen wollte. Girlfags seien bloß Fetischist_innen, hört man oft, die Männer objektifizieren oder sie seien naive Yaoi/BL-Fans. Und Guydykes… gefährliche Typen, die Lesben belästigen. Ich habe die Vermutung, dass viele Missverständnisse daher kommen, dass der Begriff GirlFAG einerseits problematisch ist und andererseits (Cis-)Schwulsein festzuschreiben scheint. Vielleicht kommt daher die Panik, dass die große Girlfag-Armee schwule Räume stürmt und die Cis-Typen belästigt. Als hätten Girlfags nur die Option.

Dabei ist Girlfagsein etwas, das männliches Begehren gegenüber Männern umkreist. Das hat viele Gesichter und muss nicht zwangsläufig cis und schwul sein. Das kann auch bigender, questioning, bisexuell, pansexuell usw. sein. Bei mir steht die Weise wie ich Männer begehre (und selbst wahrgenommen werden möchte) im Vordergrund, nicht wen: Auch wenn mich schwule Ästhetik und schwul gelesene Performances ansprechen, muss die Person sich nicht selbst so definieren. Kurz: Ich will mit einem Typen zusammen sein, der auch Typen begehrt und das Männliche in mir sieht und wertschätzt. Und ich will definitiv niemanden “umdrehen”! Ich hab also besseres zu tun, als Gayromeo-Profile zu faken.

Ein sehr verbreitetes Klischee ist, dass Girlfags nichts weiter tun als den ganzen Tag Yaoi/ Boys’ Love Mangas zu konsumieren, Slash-Fanart zu erstellen und sich schwule Pornos reinzuziehen. (Gerade beim letzten Punkt gehen bei vielen die Alarmleuchten an: Erinnert uns das nicht an etwas? „Lesbenporno“ für den männlichen Blick? Hyperventilier!)

Girlfagsein wird damit erklärt, was Menschen, die sich so bezeichnen, konsumieren. Selten wird die Frage gestellt: Warum konsumieren sie das? Ich habe früher nie Slash Fiction gelesen, trotz meiner (noch unentdeckten) Identität. Bis vor kurzem konnte ich auch nicht nachvollziehen, warum sich Menschen stundenlang mit Fanart beschäftigen, Videos und Zeichnungen erstellen oder Fanfiction lesen.

Und dann *trommelwirbel* hab ich alle Staffeln von „Avatar – The Last Airbender“ gebingewatched und eines Nachts davon geträumt, wie Zuko und Sokka ein Paar werden. Eine kurze Recherche und ich erfuhr: Das Internet war mir weit voraus! Es gibt haufenweise Fanart für dieses Ship. (Regel Nummer 34, ich weiß.)

Fanart für Sokka/Zuko (Zukka)

Innerhalb kürzester Zeit fand ich mich vor schlechten Youtube-Videos, in DeviantArt-Gruppen und las bis sieben Uhr morgens vor Limonade triefende Slash-Fictions. Ich fühlte mich wie frisch verliebt, auf Wolke sieben, plemplem. Ich habe das letzte mal mit zwölf Fanfictions gelesen! Da ich mich momentan viel zurückziehe, ist das die einzige Möglichkeit mein Begehren als Girlfag zu kanalisieren. Bin ich in deinen Augen jetzt ein „schlechtes Girlfag“, weil ich ein Klischee erfülle?

Die Protagonisten sind keine geschichtslosen Typen, sondern Figuren, die ich mit der Serien lieben gelernt habe. Sie bieten Raum für Kreativität, Projektion und Albernheit und natürlich ist das nicht immer unproblematisch: Viele Fanfictions reproduzieren Rape Culture! Was mich an dem Genre jedoch anspricht: In diesem Fantasie-Universum kann ich in Sokkas Rolle schlüpfen und Zuko als Kerl begehren, oder umgekehrt. In der Realität kann ich nicht mal eben ein Typ werden. Zumindest ist es viel schwerer als solcher sichtbar und akzeptiert zu werden.

Es gibt sicher viele Gründe, warum Frauen Slash-Fiction schreiben und lesen. Nicht alle von ihnen definieren sich als Girlfags. Und die, die das tun, werden darauf reduziert und müssen sich oft dafür rechtfertigen. Ihnen wird vorgeworfen männliche Homosexualität zu romantisieren. Dabei unterscheiden sich die Darstellungen wenig von romantisch-verklärten Heteroromanzen im Mainstream. Dass Slash-Fiction zum Übel schlechthin gemacht wird, finde ich lächerlich.

Das Vorurteil begegnet mir oft, Girlfags seien eigentlich Boys’ Love/ Yaoi-Fans, die sich wegen dieses Hobbys so definieren. Wie ich in einem Artikel von Uli Meyer gelesen habe (“Hidden in straight sight: Trans*gressing Gender and Sexuality via BL”), der versucht eine Brücke zwischen dem Diskurs über Girlfags & Guydykes und der Comic-Forschung zu Yaoi zu schlagen, haben sich bekannte Boys’ Love/Yaoi-Autor_innen teilweise als “schwule Männer im weiblichen Körper” oder ähnlich beschrieben, unter ihnen Sakakibara Shihomi. Alte Fanzines wie “June” (70er) wurden von Fans auch dafür genutzt über ihre schwule Identität zu schreiben.

Für einige Fans ist Cosplay, bei dem sie sich als ihre männlichen Lieblingscharaktere verkleiden, eine Möglichkeit ihr nichtbinäres Geschlecht zu leben. Einige Yaoi- oder Boys’ Love Fans nutzen Fanart, um sich selbst als ein anderes Geschlecht zu imaginieren. Dieses Phänomen nennt Uli Meyer “Creative Transvestism”. Es ist im Grunde genommen wie Drag oder Crossdressing, nur über ein kreatives Medium wie das Schreiben oder Zeichnen.

Das lässt die These zu, dass Slash und Yaoi/Boys’ Love noch nie ein rein cis-heterosexuelles Phänomen war, in dem Sinne, dass die Annahme Yaoi sei von Cis-Heteras für Cis-Heteras, vieles ausblendet. So gesehen ist der Impuls, den ich auch oft hatte, sich gleich gegen das Klischee zu wehren und zu sagen: “Nein, nein, Yaoi hat rein gar nichts mit Girlfags zu tun! Nein, nein, ich gehöre nicht zu diesen Slasherinnen!”, nicht der konstruktivste Weg.

Sinnvoller ist zu sagen, dass es einige Parallelen und Überschneidungen zwischen den Boys’ Love/Yaoi/Slash-Fankulturen und Girlfags gibt, doch Girlfags nicht Girlfags sind, weil sie Yaoi konsumieren, sondern umgekehrt: Wenn Girlfags auf Slash stehen, dann, weil sie Girlfags sind.

Vielleicht ist es konstruktiver in derartigen Gesprächen darauf hinzuweisen, dass Yaoi und Co. queerer ist, als es auf den ersten Blick für Laien den Anschein hat: Uli Meyers Artikel zeigt, wie in vielen Mangas Geschlecht und Begehren als fluide, mehr- und uneindeutig gezeichnet wird, oder wie Leser_innen lange in die Irre geführt werden, was das Geschlecht einer bestimmten Figur betrifft. Da kann also mehr drin sein, als süße Jungens und Kitsch.


Lesetipp:

Uli Meyer: Hidden in Straight Sight – Trans*gressing Gender and Sexuality via Boys Love. In: Levi, Antonia et al.: Boys’ Love Manga: Essays on the Sexual Ambiguity and Cross-Cultural Fandom of the Genre, McFarland 2010.