Mimicry: Girlfag in a nutshell (Rezension)

Mimicry: Girlfag in a nutshell (Rezension)

15. Dezember 2017 0 Von Paul'a

„Mimicry“ ist ein mittellanger Spielfilm von Lars von Schuckmann aus Frankfurt am Main, mit Freya Kreutzkam in der Hauptrolle. Es ist der erste Film, der explizit von einer schwulen Frau handelt – der Coming-Out-Film, auf den alle Girlfags gewartet haben! Ich habe das Vergnügen ihn zu rezensieren. Selbst wenn man die Handlung kennt, ist der Film noch spannend – trotzdem: SPOILER ALERT! Ich habe euch gewarnt.


Mimis Selbstfindung

Die Protagonistin Mimi (Freya Kreutzkam) ist eine Japanologie-Studentin in ihren Zwanzigern, die von einer unglücklichen Hetero-Begegnung in die nächste gerät. Sie begibt sich in der Queer- und Techno-Clubszene auf die Suche nach sich selbst. Mimi schlüpft in verschiedene Rollen, schläft mit Männern und Frauen, schneidet sich übereilt die Haare ab und schnürt sich die Brüste weg – doch findet keine Ruhe. Auf einer Party vertraut Mimi ihre Identitätskrise einer Drag Queen (Aetschy) an: „Ich bin kein Mann und auch keine Frau“. Die Drag Queen antwortet: „Du bist so viel mehr als das. Vielleicht hast du bisher am falschen Ufer gesucht?“ Mimi wird klar, dass sie etwas ist, was es eigentlich nicht geben kann: Eine schwule Frau.

Ihre Freundin Janina (Carole Jachtmann) reagiert mit Unverständnis auf Mimis Coming-Out: „Ich weiß nicht, wo dein Problem liegt. Du stehst auf Männer und du schläfst mit Männern. Warum musst du dafür schwul sein?“ Mit diesem Gespräch kann sich wahrscheinlich jede*r Girlfag identifizieren: Es ist eben DOCH ein Problem und sehr schwierig anderen Menschen begreifbar zu machen. Wir Girlfags träumen davon als Mann mit einem Mann zusammen zu sein. Wir wünschen uns, dass ein Partner unsere männlichen Anteile schätzt und begehrt.

Schließlich scheinen sich die Freundinnen zu vertragen und gehen in einen Fetisch-Club. Dort erwartet die Zuschauer*innen eine wunderschöne Szene einer Orgie, bei der Mimi mit ihrer Doppelgängerin bzw. mit sich selbst Zärtlichkeiten austauscht: Mimi hat sich selbst akzeptiert und kann sich nun selbst lieben. Der Film endet damit, dass Mimi und Janina auf dem Nachhauseweg den Sonnenaufgang genießen. Die Erlösung steht Mimi im Gesicht geschrieben.

Das Ende des Films finde ich großartig, da es um Mimis Selbstfindung geht, nicht darum, dass sie den queeren Mann ihrer Träume trifft. Girlfags hören oft: „Wie willst du jemals einen Partner finden? Da ist doch Unglück vorprogrammiert!“ Das stimmt jedoch nicht, denn viel unglücklicher ist man, wenn man jahrelang nicht versteht, was mit einem falsch ist. Sich mit der eigenen Identität zu akzeptieren – wie begrenzt die Partnerwahl dadurch auch sein mag, ist ein entscheidender Schritt, um glücklich zu werden. Diese Botschaft hat Lars von Schuckmann perfekt vermittelt. 

Girlfag und genderqueer

Mimi schneidet sich die Haare ab
Mimi schneidet sich die Haare ab

Ich finde es wichtig immer wieder zu betonen, das Girlfags nicht einfach Cis-Heteras sind, die auf schwule Männer stehen. Viele Girlfags fallen auf die eine oder andere Weise aus dem Zweigeschlechtersystem: Einige sind cis und gender-non-conforming, einige sind genderqueer, einige verorten sich „irgendwo zwischen cis und trans“ und bezeichnen sich z. B. als cisgenderfluid, andere sind trans. (Hier sind die Ergebnisse einer Umfrage von 2010 und hier von 2005.)

Ohne es zum eigenen Thema zu machen, da es den Rahmen sprengen würde, schafft es „Mimicry“ Gender-Questioning als selbstverständlichen Aspekt vom Girlfag-Dasein zu zeigen! Das begrüße ich sehr. Wir begleiten Mimi auf ihrem Weg, hören sie sagen, dass sie weder Mann noch Frau ist. Wir sehen, wie sie in eine maskuline Rolle schlüpft, um herauszufinden, ob das besser zu ihr passt. Wir sehen, wie sie ihre Brüste abbindet, was neben trans Männern auch viele genderqueere Personen und einige Girlfags tun. (Aber bitte, liebe Leute, macht es nicht wie Mimi: FINGER WEG VOM KLEBEBAND!) Wir hören, wie Mimi ihrer Freundin Janina sagt, dass sie sich „wie ein schwuler Mann“ fühlt und gern Sex mit Männern hätte, so als wäre sie selbst ein Mann. Es stört Mimi, dass Männer sie wie eine Frau begehren. Ihre Identitätskrise ist alles nur nicht das Gejammer einer Cis-Hetera, die sich ab und an in schwule Männer verliebt.

Die Schnecken, die auch auf dem Cover zu sehen sind, sprechen eine symbolische Sprache für sich: Schnecken sind so queer, sie wechseln im Laufe ihres Lebens mehrfach ihr Geschlecht oder sind sowohl männlich als auch weiblich! 😉 Lars von Schuckmann schreibt, dass es ihm um die „Auflösung bzw. Fusion aller sozial konstruierten Geschlechterrollen“ ging. Dem Zweigeschlechtersystem hat er jedenfalls erfolgreich einen Strich durch die Rechnung gezogen.

Ein Kritikpunkt

Drag Queen im Geisha-Kostüm
Drag Queen im Geisha-Kostüm

So sehr mich der Film auch überzeugt hat, gibt es einen Kritikpunkt, den ich nicht unerwähnt lassen will: Ostasiatisch ist kein Kostüm. Zu Beginn des Films sehen wir Mimi in einer Japanologie-Vorlesung, wo der Professor erklärt, dass Geishas ursprünglich Männer waren. Später treffen wir eine Drag Queen in einem ostasiatisch inspirierten Kostüm, das an eine Geisha erinnert. Diese Drag Queen gibt Mimi den entscheidenden Denkanstoß, dass sie bislang womöglich am falschen Ufer gesucht hat. Filmisch funktioniert das. Allerdings erinnert diese mystifizierte Darstellung einer Geisha an rassistische Stilfiguren wie „Magical Asian“ oder „China Doll“ – und dann noch gespielt von einer nicht-ostasiatischen Drag Queen! Das verpasst einigen Szenen einen orientalistischen Beigeschmack, den der Film eigentlich nicht nötig hat.

Fazit: Ein Geschenk für die GF/GD-Community

Mimi in einer Orgie

„Mimicry“ schafft in nur 26 Minuten das Girlfag-Dilemma sehr gut zu vermitteln ohne zu viel erklären zu müssen – was bei einer Identität wie dieser sehr schwierig ist. Schließlich ist „schwule Frau“ ein Widerspruch, für viele Menschen unvorstellbar, lachhaft und absurd. Der Film kann der Mainstream-Kultur ebenso wie der queeren Community zeigen, dass genau dieser Widerspruch für einige Menschen nun einmal Realität ist. Hoffentlich entsteht daraus mehr Verständnis für Girlfags und Guydykes.

Freya Kreutzkam überzeugt als Mimi: Ihr innerer Konflikt ist nachvollziehbar dargestellt, die Verwirrung, die sie bei ihrer Freundin Janina auslöst, ist sehr realistisch und Mimis Gender-Questioning zeigt, dass Girlfag-Identität mehr ist als oft angenommen. Der Film gibt schöne Einblicke in die queere Clublandschaft, die weder überzogen noch klischeehaft wirken und auch die Sexszenen, insbesondere die Orgie, sind sehr gelungen. Die Musik treibt die Handlung zusätzlich an und ist ebenfalls sehr gut gewählt.

Um Selbstakzeptanz zu erreichen ist es wichtig sich repräsentiert zu fühlen – deswegen sind positive Vorbilder in Filmen und Popkultur für queere Menschen so unfassbar wichtig. „Mimicry“ ist ein riesiges Geschenk für die GF/GD-Community! Lars von Schuckmann füllt die gähnende Leere, die bislang um Girlfag-Repräsentationen herrschte. (Außer Dani von „Sense8“ und Debbie von „Queer as Folk“, die man eventuell als Girlfags lesen könnte, fällt mir echt niemand ein! Euch?)

Viele junge Menschen könnten dank „Mimicry“ schneller akzeptieren, dass sie etwas sind, das es eigentlich nicht geben kann. Oder anders: Sie könnten viel schneller verstehen, dass es sie eben doch geben kann! Denn Mimi hat es ihnen vorgemacht. 🙂


Die DVD (Inhalt: Film, Film mit Untertiteln und Making-of-Clips) könnt ihm für 9 € kaufen. Schreibt eine Mail an pizzakatze@gmx.de und Lars von Schuckmann schickt euch die Instruktionen!


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